Exemplarische Einblicke in die Lebenswelten von Wohnungsnot betroffener Menschen
Der Lebenslagenbericht „Menschen in Wohnungsnot“ setzt sich aus unterschiedlichen Teilen zusammen. Der hier vorliegende Teil versucht – aus mit der Lenkungsgruppe vereinbarten Zielgruppen – einzelne biografische Lebensgeschichten zu erzählen. Die einzelnen Geschichten aus den verschiedenen Zielgruppen könnten auch anders erlebt und erzählt werden. Vor diesem Hintergrund sind deshalb keine Rückschlüsse auf die jeweiligen Zielgruppen zu ziehen, sondern die Erfahrungen der Befragten zu bündeln und auf gemeinsame Aspekte der Wohnungsnot und ihren Folgen zu betrachten. Zunächst erfolgt eine Zusammenschau. Im Anschluss werden die einzelnen Portraits vorgestellt. Die Namen der Befragten wurden alle anonymisiert.
Wie beschreiben von Wohnungsnot betroffene Menschen ihre Situation?
Dies war die Forschungsfrage, die uns dazu hinführte, elf verschiedene Interviews mit von Wohnungsnot betroffenen Menschen durchzuführen. Die Zielgruppen für die Interviews entstanden aus elf verschiedenen Lebenskontexten. Zielgruppen, die befragt wurden, sind der alleinerziehende Vater Herr L., die alleinstehende Frau M., die Berufseinsteigerin Frau C., der junge Mann Herr D. mit Fluchterfahrung, die etablierte Familie von Frau E., die alleinerziehende Frau A., die Seniorin Frau B., die kinderreiche Familie von Frau Sch., Frau St. mit einer kognitiv beeinträchtigten Tochter und die wohnungslose Frau R.
Die Alterspanne der Befragten liegt zwischen 22 und 74 Jahren. 3 Personen sind zufrieden mit ihrem Nachbarschaftsverhältnis. Die Mehrheit hat ein eher schwieriges, z.T. belastetes Verhältnis zu den Nachbarn. 10 Teilnehmer*innen fühlen sich grundsätzlich wohl in ihrem Stadtteil; eine Person hat abends ein unsicheres Gefühl in ihrem Wohnviertel.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass wir Studierende durch alle elf Interviews, durch die wir Interviewerinnen mit von Wohnungsnot betroffenen Menschen in Kontakt kamen, viele verschiedene Schicksale erfahren durften, die zur Wohnungsnot geführt haben.
Durch welche Ursachen kann Wohnungsnot entstehen?
Alle befragten Personen waren der Meinung, dass der Mangel an finanziellen Mitteln einer der Gründe ist, wodurch Wohnungsnot entstehen kann. Die Betroffenen selbst sind aus verschiedenen Gründen in die Wohnungsnotlage gelangt, wie zum Beispiel aufgrund eines Jobverlusts, aufgrund von Geldmangel, geringer Rente, Krankheit, Sucht, Wohnungskündigung wegen Eigenbedarf, aufgrund einer kinderreichen Familie, Scheidung, Trennung, einer Kündigung oder der eigenen Herkunft.
Frau M., eine alleinstehende Frau, berichtet:
„Es gibt zu wenig Wohnungen und zu teuer (…), zu teuer für Alleinstehende; ist ziemlich schwer was zu kriegen.“ (I 7 Z. 6)
Sie sieht den fehlenden Wohnraum und die zu hohen Mietpreise für die Wohnungen, die zur Verfügung stehen, als Ursache von Wohnungsnot. Die alleinerziehende Frau A. bestätigt diese Erfahrung ebenfalls. Auch sie gibt an, dass sie sich keine Wohnung leisten könne, die ihren Bedürfnissen entspricht. Momentan ist sie arbeitslos und befindet sich in einer Notlage.
„Es ist jetzt so eine Situation. Sie [Tochter] ist fünf. Sie geht in den Kindergarten. Ich kann halt einfach gerade nicht mehr arbeiten. Und da nimmt man sich zurück und denkt sich das, was ich habe, damit kommen wir klar.“ (I 5, Z. 77)
Diese Ursachen für Wohnungsnot, die teuren Mieten, der fehlende Wohnraum und auch die fehlenden Angebote für bezahlbaren Wohnraum, haben zur Auswirkung, dass Wohnungsnot Menschen dazu bringen kann, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, um hauptsächlich einen eigenen Wohnraum zu haben, auch wenn dieser nicht den notwendigen Bedürfnissen entspricht.
Für den alleinerziehenden Vater Herr L. beginnt die Ursache von Wohnungsnot dort, wo er an anderen Stellen Geld einsparen muss, um die Miete zahlen zu können. Beispielsweise im Verzicht auf den Sommerurlaub oder in den alltäglichen Angelegenheiten.
„Die Wohnungsnot beginnt für mich an der Stelle…. sagen wir mal, jeder hat ja sein eigenes Haushaltsbudget. Und wenn mal der Anteil, den wir für die Wohnung aufbringen müssen, so groß wird, dass andere Dinge, die eben auch unbedingt zur Lebenssituation gehören, die eine gewisse Lebensqualität beinhalten, wenn die dann nicht mehr möglich werden, …würde er erst an anderen Dingen sparen, bevor man, seine eigene Wohnung aufs Spiel setzt. … Zum Beispiel ich fahre nicht mehr in Urlaub oder ich leiste mir kein Auto oder sonst was. Ich brauch halt, was ich für meine Bedürfnisse brauche, wenn es da anfängt, dass ich mir nicht mehr leisten kann. Naja, Personen, in deren Leben sich sagen wir mal entscheidende Dinge verändern. Es kann sein, ein plötzlicher Tod von einem Partner, Trennung oder Scheidung und auch andere Dinge. Sagen wir mal Verlust von einem Arbeitsplatz oder Verlust der Gesundheit. Da gibt’s noch andere Beispiele.“ (I8 Z.10 und 14).
Aus dieser Erzählung wird ersichtlich, dass für den alleinerziehenden Vater grundlegende Einschränkungen durch finanzielle Nöte, die oft auch im Zusammenhang mit kritischen Lebensereignissen entstehen, zur Ursache für Wohnungsnot gehören.
Die alleinstehende Frau M. ist der Meinung, dass Wohnungsnot vor allem alleinstehende oder obdachlose Personen betreffe, da diese wenige Mittel zur Verfügung haben.
„Vor allem Alleinstehende oder gerade Alleinerziehende. Ja. So denk ich. Und Obdachlose. Dass sie auch keine Chance haben, was zu kriegen, weil sie auf der Straße leben.“ (I 7 Z. 13 und 285)
Für Frau E. können die fehlenden finanziellen Mittel und der niedrige soziale Status Ursachen für Wohnungsnot sein.
„Wobei ja doch, wenn die, wo nicht sozial oder auch finanziell so gut dastehen, vor allem jetzt in der jetzigen Situation, nicht einmal etwas finden, was sie sich einigermaßen leisten können.“ (I 6 Z. 46)
Die meisten Befragten besaßen zu wenig finanzielle Mittel, um eine eigene Wohnung finanzieren zu können, die ein “sorgenfreies“ Leben ermöglichen könnte. Für die Ursachen von Wohnungsnot spielten die individuellen Lebensgeschichten der Menschen ebenfalls eine zentrale Rolle, wie zum Beispiel ein fehlender sozialer Status, der Familienstand oder unerwartete Schicksalsschläge.
Welche Auswirkungen kann Wohnungsnot haben?
Auf die Frage, welche Auswirkungen Wohnungsnot haben kann, berichtet ein Großteil der Befragten von Sorgen, wie zum Beispiel keine finanzierbare Wohnung finden zu können. Aus der Zielgruppe der Alleinerziehenden, erzählt eine Frau, dass es auch Zeiten gäbe, in denen sie aufgrund ihrer Wohnsituation sehr verzweifelt sei, da sie auch nicht für ihre Tochter sorgen könne, wie sie es sich wünsche. Lange Phasen hatte sie mit starken Selbstzweifeln und Selbstvorwürfen zu kämpfen. Die alleinerziehende Mutter befand sich mit ihrer damals vier Monate alten Tochter fast ein Jahr lang in Wohnungslosigkeit. Frau R. verlor ihre Wohnung aufgrund einer Eigenbedarfskündigung.
„Verlassen. Einsam. Man wusste nicht wohin. Ich habe mich geschämt. Trauer. Viel, viel dieser Hass in sich, sozusagen. Was machst du mit deinem Leben? Wieso kommst du nicht klar? Wieso kannst du nicht auf deinen eigenen Beinen stehen? Wieso machst du diese Fehler?“ (I 11, Z. 214- 217)
Die alleinerziehende Frau A. berichtet über Sorgen und Ängste, die sich aufgrund von Wohnungsnot ergeben haben: „Da wird Wohnungsnot, da sind natürlich erstmal die Ängste. Wie geht es weiter? Finde ich was?“ (I 5, Z. 73). Ebenfallserzählt sie, dass die Wohnungssuche immer mehr erschwert werde, „da die Wohnungen ja auch immer teurer werden.“ (I 5, Z. 77)
Die Berufseinsteigerin Frau C. gibt ebenfalls den wenig bezahlbaren Wohnraum als eine Auswirkung von Wohnungsnot an.
„Junge Leute, die wie ich jetzt neu im Beruf sind, neu im Berufsleben sind, vielleicht noch nicht das größte Geld verdienen und als alleinstehende Person suchen. Das ist sehr schwierig, finde ich. Gerade kleine bezahlbare Wohnungen, ja da gibts sehr wenig.“ (I 1 Z. 2)
Frau S. nennt als Auswirkung von Wohnungsnot, die immer weniger werdenden Wohnungsangebote: „Dass es immer enger wird und es immer weniger Plätze gibt und Wohnungsangebote.“ (I 10, Z. 30)
Auch die Not von Menschen mit Fluchterfahrung wurden in den Interviews deutlich. Die fehlende soziale Teilhabe, auch bedingt durch die Sprachbarriere, ist sehr belastend. Aus der Zielgruppe der geflüchteten Menschen berichtet Herr A., für ihn seien Auswirkungen der Wohnungsnot, dass Wohnbaugesellschaften Personen mit einem Fluchthintergrund auf dem Wohnungsmarkt nicht so ernst nehmen, wie „einheimische“ MitbewerberInnen.
„Früher ich habe nicht schnell Wohnung gefunden. Ich brauche immer Hilfe. Problem, ich kann nicht gute Bewerbung und E- Mails schreiben. Viele Leute schon mehr schreiben und GWG sofort geben Wohnung. Ich habe Problem, kann nicht gut sprechen und schreiben.“ (I 4 Z. 159-160)
Alle Befragten haben als Auswirkungen von Wohnungsnot Sorgen und Ängste genannt, aufgrund des Einkommens oder des sozialen Prestiges oder nicht zu der Zielgruppe von Vermieter*innen zu gehören.
Wünsche für die Zukunft
Der Mehrzahl der Befragten ist es ein Anliegen, dass das Thema Wohnungsnot mehr als Problem wahrgenommen wird. Es sollten Wohnkonzepte erstellt werden, die auch den Bedürfnissen wie zum Beispiel von kinderreichen Familien entsprechen. Auch für alleinstehende Personen mit geringem Einkommen gibt es kaum bezahlbaren Wohnraum. Aus der Zielgruppe von Menschen mit einer Beeinträchtigung berichtet Frau Frau F., dass sie seit vier Jahren auf der Suche nach einer inklusiven Wohngruppe für ihre 24jährige, kognitiv beeinträchtigte Tochter Anna sei. Sie wünsche sich mehr Teilhabemöglichkeiten für ihre Tochter.
„[…], weil eine echte Teilhabe für Menschen mit Handicap, die ist eigentlich nur gegeben, wenn´s auch irgendwo Möglichkeiten gibt, dass man teilhaben kann. […] Also mein Wunsch ist es einfach, mehr Wohnraum zu schaffen, wo inklusives Wohnen möglich ist, wo man tatsächlich am Leben teilhaben kann und auch Teil unserer Gesellschaft sein darf und nicht wieder irgendwo untergebracht ist, dass man halt untergebracht ist. So ist es halt leider nun mal.“
Alle Befragten wünschen sich mehr Wohnraum, der bezahlbar ist. Insgesamt wird in den Interviews sichtbar, dass der Großteil der Befragten von Wohnungsnot betroffen ist, da sie nicht den Wohnraum erhalten können, der ihren Bedürfnissen entspricht. Oftmals fehlen die nötigen finanziellen Ressourcen, um sich eine geeignete Wohnung leisten zu können. Viele Betroffenen müssen teilweise sehr lange nach einer passenden Wohnung suchen und sind deshalb sehr frustriert. Die Meisten wünschen sich auch mehr Unterstützung im Prozess der Wohnungssuche und mehr Gerechtigkeit bezüglich der Wohnungsvergabe.