„Menschen mit Handicap haben genau die gleichen Bedürfnisse wie wir auch!“

Einblicke in die Lebenswelt einer kognitiv eingeschränkten jungen Frau

Wohnraum im Landkreis Reutlingen ist knapp. Inklusive Wohnraumkonzepte sind kaum vorhanden. Frau F. ist seit vier Jahren auf der Suche nach einer inklusiven Wohngruppe für ihre 24-jährige, kognitiv eingeschränkte Tochter Anna. In der Stadt Reutlingen gibt es aktuell nur zwei inklusive Wohngruppenkonzepte, wie Frau F. sie sich für ihre Tochter wünschen würde. 

Durch Elterninitiative zur Partizipation  

Mit ihrer ins Leben gerufenen Elterninitiative versucht Frau F. mit anderen Betroffenen einen geeigneten Wohnraum zu erkämpfen, um ihrer Tochter und vielen anderen Menschen mit einem Handicap eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen zu können und die betroffenen Menschen nicht nur irgendwo oder irgendwie unterzubringen.

[…], weil eine echte Teilhabe für Menschen mit Handicap, die ist eigentlich nur gegeben, wenn´s auch irgendwo Möglichkeiten gibt, dass man teilhaben kann. […] Also mein Wunsch ist es einfach, mehr Wohnraum zu schaffen, wo inklusives Wohnen möglich ist, wo man tatsächlich am Leben teilhaben kann und auch Teil unserer Gesellschaft sein darf.“

Integration ist nicht immer Inklusion

Dabei unterscheidet Frau F. mit einer klaren Linie Integration von Inklusion. Sie sieht den Großteil der vorhandenen Wohngruppen als Separierung der Menschen mit Einschränkungen an und nicht als Teilhabemöglichkeit und der damit eigentlich verbundenen Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen. 

„Und unser Ziel ist es eigentlich eine Wohnform zu finden, die tatsächlich inklusiv ist. […] inklusiv heißt für mich […], dass man da im Prinzip auch als gleichwertiges Mitglied dieser Gesellschaft angesehen wird und auch als solches behandelt wird. […] Es muss in die Richtung inklusives Wohnen gehen und nicht mehr in diese Isolierung von Menschen oder diese Anhäufung von Menschen in einer Wohnung nur mit Handicap.“

Der Wunsch nach Selbständigkeit

Für ihre Tochter wünscht sich die engagierte Mutter, dass Anna durch den Auszug aus dem Elternhaus selbstständiger wird. Denn solange die erwachsene Tochter bei ihren Eltern lebt, kann sie das Potenzial ihrer möglichen Selbstständigkeit nicht ausschöpfen. 

„[…] Selbstständigkeit kommt auch mit dem selbstständig sein können. Und wenn sie bei mir wohnt, kann sie nur bis zu einem gewissen Grad selbstständig sein.“

Den Blick der Gesellschaft ändern

Frau F. ist es auch ein Anliegen, dass die Gesellschaft eine andere Sichtweise auf Menschen mit einem Handicap bekommt. Vorurteilen, Unbehagen oder auch der Unsicherheit, wie mit Menschen, die eingeschränkt sind, umgegangen wird, sollte durch Aufklärung, Teilhabe und Stärkung entgegenwirkt werden.

[…] dieses Wort Behinderung mag ich nicht, ich denk wir sind alle etwas behindert. Der eine so, der andere so […] als Mensch mit Handicap, vor allem also bei Menschen mit geistiger Behinderung ist es ganz oft so, dass die einfach in Schubladen gesteckt werden. Ja, und da kommen die nicht mehr raus. […]

Wohnraumkonzepte schaffen als Aufgabe der Stadt

Die engagierte Mutter plädiert auch an die Kommune, fordert Unterstützung und zeigt Hürden auf, die ihr immer wieder begegnen und die die Entstehung von neuen Wohnraumkonzepten so schwierig machen.

„Das aller notwendigste was wir brauchen, ist tatsächlich einfach Wohnraum […] Möglichkeiten, sich Wohnraum zu erschließen, wo inklusives Wohnen möglich ist. Und da muss auch eine Stadt einfach her, da muss die Stadt auch bereit sein, also als Kommune da gewisse Möglichkeiten zu eröffnen. […] Aber wenn halt dann zum Beispiel die Vergabe einfach an andere Unternehmen läuft, dann stirbt halt dieses Projekt an dem Standpunkt auch wieder.

Den Blick für die vorhandene Not zu öffnen und dieser entgegenzusteuern, wäre eines der größten Anliegen, die Frau F. an die Stadt Reutlingen und die zuständigen Kommunen hat, damit auch Menschen, wie Anna, ein gesellschaftlich anerkanntes Leben führen können: […] also ich kann jetzt nur für die Stadt Reutlingen sprechen […]. Da wird sicherlich diese Not nicht unbedingt gesehen, weil es gibt ja die […]Einrichtungen mit ihren ganzen Wohngruppen und so weiter. Und das ist natürlich auch eine finanzielle Geschichte. Das ist das Nächste und insofern sehen die diese Not bestimmt nicht so, wie sie tatsächlich ist.