„Ich würde alles bezahlen, ich möchte einfach nur meine Ruhe haben“
Einblicke in die Lebenswelt eines jungen Mannes mit Fluchterfahrung
Herr D. ist 22 Jahre alt und lebt seit 5 Jahren in Deutschland. Ursprünglich kommt der alleinstehende Herr D. aus Afghanistan. Seit seiner Ankunft als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in München, wird er durch das Jugendamt betreut.
„Ich habe gerade eine Ausbildung begonnen“
Mittlerweile hat Herr D. eine Berufsausbildung zum Einzelhandelskaufmann begonnen, welche ihm große Freude bereitet. Sein momentaner Wohnort befindet sich in der Innenstadt Reutlingen. Gemeinsam mit zwei weiteren Mitbewohnern teilt er sich die vom Jugendamt zur Verfügung gestellte Wohnung mit ca. 80 Quadratmetern. Die Miete beträgt 450 Euro pro Person. Grundsätzlich wird diese Wohnung des Jugendamtes nur an Jugendliche unter 21 Jahren vermietet. Aufgrund erfolgloser Wohnungssuche wird jedoch, abweichend davon, die Gewährung im Einzelfall verlängert.
Um seinen Lebensunterhalt, sowie die monatliche Miete bezahlen zu können, erhält Herr D. vom Jobcenter finanzielle Unterstützung. „Vom Jobcenter bekomme ich für meine Miete finanzielle Unterstützung.“ Auch hat Herr D. eine Betreuerin vom ambulanten betreuten Wohnen an seiner Seite, die ihm bei der Bewältigung seines Alltags Unterstützung bietet.
„Wir lebten in einem Dorf, das war eine schlimme Zeit“
Zuvor lebte er gemeinsam mit seinen beiden jetzigen Mitbewohnern für ein Jahr in einem Dorf in der Nähe von Bad Urach. Aufgrund mangelnder Infrastruktur, insbesondere schlechten Busverbindungen am Wochenende, wurde durch das Jugendamt ein Umzug in die Innenstadt Reutlingen ermöglicht.
„Die nächsten Einkaufsmöglichkeiten lagen weit entfernt. Um einen Lebensmittelladen erreichen zu können, musste man mit dem Bus nach Bad Urach fahren. Jedoch gab es beispielsweise ab 16 Uhr oder 18 Uhr keine Busverbindungen mehr.“
Subjektive Bedeutung der Wohnungs-Lage bzw. Wohnsituation
Herr D. erklärt, dass die jetzige Lage im Vergleich zur vorigen Situation um einiges besser ist. Die Wohnung in der Innenstadt ermöglicht ihm soziale Kontakte auch am Wochenende pflegen zu können. Zudem bietet die zentrale Lage eine flächendeckendere Lebensmittelversorgung. Ferner ist er nicht mehr auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, was für ihn eine gewisse Flexibilität bietet. Gleichzeitig deutet er jedoch auf einen erhöhten Lärmpegel hin, welcher ihn oftmals am Wochenende nachts nicht schlafen lässt.
„Dafür ist es in der Stadt immer laut. Am Wochenende schläft man oftmals erst nach Mitternacht ein oder wird mitten in der Nacht von lauten Stimmen auf der Straße geweckt.“
Darüber hinaus empfindet Herr D. die derzeitig dichten Wohnverhältnisse, die mangelnde Privatsphäre, sowie die unhygienischen Zustände der Wohnung, als große Belastung.
„Unsere Wohnung befindet sich in einem richtig alten Haus. Oftmals begegnet mir beispielsweise in der Küche oder auf der Toilette eine Ratte oder eine Maus. Ich erschrecke mich dann sehr. Auch höre ich durch die dünne Wand alles von nebenan, was mich keine Ruhe finden lässt.“
„Hauptsache Ruhe!“
Herr D.s Wunschvorstellung wäre es, im ländlichen Raum eine Wohnung zu finden und dabei ein Auto zu besitzen. Dort würde er ungestört leben können und zugleich unabhängig von den zeitlichen Busverbindungen alle Besorgungen flexibel erledigen können.
Doch im Moment hat Herr D. nur den Wunsch, eine gewisse Selbständigkeit in Form einer eigenen Wohnung zu erhalten. Diesem Wunsch liegt vor allem das Bedürfnis nach Ruhe zugrunde, dass er des Öfteren im Interview erwähnte.
„Ich möchte eine eigene Wohnung, weil ich dann einfach meine Ruhe habe.“ – „Viele denken, wir müssten nicht da sein!“
Seit 10 Monaten ist er auf der Suche nach einer eigenen Wohnung. Jeden Abend hält er Ausschau nach einer passenden Wohnung. Dafür benutzt er hauptsächlich die App Immoscout24 und Facebook. „Normalerweise verschicke ich jeden Abend eine Anfrage.“ Doch stets ohne Erfolg.
„Seit 10 Monaten schreibe ich fast täglich Anfragen, aber bisher hat mir noch kein Vermieter oder keine Vermieterin geantwortet, was mich echt sauer macht.“
Die Enttäuschung macht Herr D. innerlich wütend. Anfangs vermutete er, dass Vermieter*innen ihm aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse keine Antworten zukommen lassen, doch auch nachdem seine zuständige Betreuerin eine Anfrage für ihn verfasste, erhielt er dennoch keine Antwort. Darüber hinaus ist er davon überzeugt, dass gerade ausländische Personen Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche haben. „Ich finde, dass oftmals ausländische Personen solche Probleme haben.“
Herr D. geht davon aus, dass er aufgrund seiner Herkunft und die damit verbundenen Vorurteile keine Antwort, geschweige denn eine Zusage erhält. „Ausländer haben in Deutschland schlimme Sachen gemacht. Vermieter haben Angst, dass Ausländer in ihrem Haus alles kaputt machen.“
Ausblick und Forderung an die Politik
Herr D. betont, dass er für eine eigene Wohnung auch einen hohen Preis bezahlen würde. „Ich würde alles bezahlen, ich möchte einfach nur meine Ruhe haben.“ Sein monatliches Einkommen würde er für Mietkosten und Lebensmittel verwenden.
Von Seiten der Politik wünscht sich Herr D. transparente Wohnungsangebote, welche ihm die Suche durchaus erleichtern würden. Wie er sein Ziel schneller erreichen kann, weiß Herr D. im Moment nicht. Er hat aktuell keine weiteren Schritte geplant. Dennoch hält er an seinem Ziel fest und ist zuversichtlich, dass ihn eines Tages die Antwort eines Vermieters überraschen wird, der ihn zu einer Wohnungsbesichtigung einlädt.